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Angela Büche

Angst oder nicht Angst haben, das ist hier die Frage!

Aktualisiert: 29. Apr. 2021

21. Februar 2020. Noch wenige Minuten bis zur Abfahrt zum Flughafen Wien-Schwechat. Mein Partner und ich überprüfen die letzten Details. In Delhi wartet der 36. International Geological Congress auf uns. Mein Partner hält dort einen geologischen Vortrag. Auch ich werde einen Vortrag halten mit dem Titel: „A new approach to Geoethics by methods of modern Positive Psychology“.


Ein letzter Blick in die Mailkiste wird von Markus auf eine private Nachricht gelenkt. Der Kongress ist wegen Corona abgesagt. Damals gibt es offiziell noch keine Fälle in Indien. Die Begründung ist, dass sehr viele Teilnehmer*innen auch aus China kommen würden. Indien möchte sich schützen und sagt alle Großveranstaltungen mit Internationalen TeilnehmerInnen ab.


Was tun? Trotzdem fliegen oder nicht?


Fliegen wir trotzdem! Wir nehmen unsere Koffer und fahren zum Flughafen. Hier ist noch alles wie gewohnt. Ein paar wenige Chinesen mit Mundschutz sehen in der Masse der Flughafengäste eher verloren aus. Während unser Flugzeug in Richtung Delhi startet, fliegen meine Gedanken zurück ins Jahr 1986.


Ich werde den 26. April 1986 nie vergessen. Es ist der Tag der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl. Ein Reaktor im Kernkraftwerk ist explodiert. Es ist Frühling in Basel.

Die Medien warnen die Bevölkerung, nichts zu essen, was frisch von den Feldern kommt. Auch soll man keine frische Milch trinken, da die Kühe wieder auf den Wiesen grasen.


Seit über 20 Jahren bringt der Milchmann 3-mal in der Woche Milchprodukte in unsere Wohnsiedlung. Wir stellen dafür am Vorabend die Milchkanne in den Milchkasten. Zuverlässig um 6.30 Uhr in der Früh wird sie gefüllt.


Unsere Mutter fragt Vater, was wir jetzt tun sollen. Sollen wir keine frische Milch mehr verwenden, weil ja die Wiesen kontaminiert sind, auf denen die Kühe grasen? Vater sitzt am kleinen Küchentisch in der kleinen Küche unserer Wohnung. Die Ellbogen sind auf den Tisch gestellt und mit den gefalteten Händen stützt er seinen vornüber geneigten Kopf.


Vater hat die Eigenart, zuerst zu denken, bevor er spricht. Vor allem dann, wenn es sich um komplexe Themen handelt. Das Nachdenken kann Minuten dauern, aber auch Stunden oder Tage.

Er steht auf und geht in sein Zimmer. Dieses Mal dauert es lange, bis er fertig nachgedacht hat.


Endlich kommt er wieder zurück in die Küche und setzt sich an den Küchentisch.


 

„Der Milchmann bringt uns seit über 20 Jahren zuverlässig 3-mal in der Woche frische Milch. Wenn wir keine mehr trinken, wird er kein Einkommen haben. Zudem ist zu erwarten, dass die anderen in der Gegend nun nicht mehr bestellen werden. Ich finde es nicht richtig, wenn wir ihn hängen lassen, nachdem er uns so lange und zuverlässig bedient hat.


Die Atmosphäre, die die Erde im Erdmittelalter vor mehr als 50 000 000 Jahren hatte, wäre für den heutigen Menschen schädlich. Die gesamte Biosphäre der Welt war anders als heute. Auch später, bei Meteoriteneinschlägen und großen Vulkanausbrüchen, als sich die Biosphäre abrupt für einige Zeit veränderte, gab es immer die, die sich anpassen konnten, und die, die dies nicht schnell genug geschafft haben und daher umgekommen sind.


Wir stammen von den Lebewesen ab, die sich jeweils an die sich verändernde Atmosphäre und Lebensbedingungen schnell genug anpassen konnten. Alle anderen sind ausgestorben. Dasselbe gilt für die Tiere und die gesamte Biosphäre der Erde. Die Tiere, die es heute noch gibt, sind die, die Nachkommen sind von denen, die sich anpassen konnten.


Die Menschen scheinen in Zukunft nicht von der Atomenergie ablassen zu wollen. Die neue Situation auf der Erde fordert wohl von uns, dass wir lernen müssen, mit radioaktiven Strahlungen umzugehen. Sonst werden wir auf Dauer nicht überleben können. Die Frage ist nur, ob wir für die Anpassung genug Zeit haben...


Wir bestellen weiterhin Milch und werden sie auch trinken!


Vater steht auf. Er zieht sich seine Schuhe an, nimmt den grauen Mantel vom Haken und verlässt die Wohnung. Wenig später hört man ihn mit seinem Mofa in Richtung Schrebergarten davonfahren. In seinem Schrebergarten wird er seine Hühner füttern, ihnen Wasser geben und die frischen Salatsetzlinge gießen. Beim Einbrechen der Dunkelheit kommt er nach Hause. Er überreicht meiner Mutter, die an diesem Tag gelegten Hühnereier und einen großen Strauß Osterglocken. Letztere sind dieses Jahr spät dran. Den Schnittsalat wird es morgen zum Mittagessen geben. Die Osterglocken leuchten auf dem Esstisch. Wie stark „leuchtet“ wohl ihre Radioaktivität?




Inzwischen ist es April 2021. Nie hätte ich gedacht, dass ich mehr als ein Jahr später noch immer diverse, auch internationale Berichte aus verschiedensten Disziplinen über SARS-CoV-2 sorgfältig studieren werde und ich mir zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen Gedanken mache.


Ich stelle mir die folgenden Fragen:

> Weshalb kann ich mich nicht einfach mit den Schlagzeilen der Mainstream-Medien zufriedengeben?

> Weshalb verbringe ich Stunden damit, mir selbst ein Bild der komplexen Thematik zu machen?

> Wo habe ich diese Vorgehensweise gelernt?

> Welche Haltung und welches Mindset steht hinter dieser Vorgehensweise?


Diese Fragen haben mich zu der oben beschriebenen Geschichte geführt.


Jetzt bin ich es, als Mutter und Großmutter, deren Haltung und Umgang in Bezug auf das Tagesgeschehen eine Wirkung auf die nächste Generation haben wird.


Es geht dabei nicht um das Ergebnis der Herangehensweise, das kann bei mir ein völlig anderes sein als es damals bei meinem Vater war. Aber das Mindset, mit dem ich an komplexe Themen herangehe, sind offensichtlich von den Grundstrukturen her ähnlich.


So macht es immer wieder Sinn zu reflektieren:

> Auf welches Mindset baue ich die Gestaltung meines Lebens auf?

> Bin ich im selben Fahrwasser? Versuche ich, einfach aus Prinzip anders zu sein? Aber das ´aus Prinzip anders sein´ ist dasselbe Fahrwasser, nur in der entgegengesetzten Richtung.


Was es für andere Wege in der Vorgehensweise gibt, die das bekannte Fahrwasser verlassen und die im Hier und Jetzt hilfreich sind, erzähle ich gerne ein anderes Mal.


Herzlich

Angela Büche


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